Dieser Artikel erschien im Februar 2013 in der Zeitschrift des Deutschen Hebammenverbandes,Autorin: Verena Wiechers – Expertin für Prae- & Postnatales Training
Heidi Klum macht es vor: Die moderne Mama ist nicht nur super-erfolgreich im Beruf, sondern auch super-schlank und super-fit. Hierzulande liegt das Thema „Training für Mütter“ ebenfalls im Trend, vor allem Fitnessangebote, in die das Baby integriert wird, schießen wie Pilze aus dem Boden. Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Für und Wider und zeigt auf, woran man ein gutes Workout für Mama und Baby erkennt.
Die Zielgruppe „moderne Mütter“ rückt derzeit an verschiedensten Fronten ins Visier kluger Marketingstrategen, denn nachdem es in vergangenen Jahrzehnten ausschließlich um das Wohl der Babys ging, möchte die fortschrittlich orientierte Mutter neben dem Ich-tue-alles-für-mein-Kind-Programm auch etwas für sich tun. Die Mutter von heute will auch Frau bleiben: neben Öko-Stramplern kauft sie Still-BHs mit Spitze, sie liest nicht nur die Pädagogik-Tipps in der ELTERNsondern auch die Beauty-Tipps für Gestresste in der BRIGITTE MOM und sie geht nicht nur zum Pekip sondern auch zum Buggy-Fitness. Diese Tatsache ist eigentlich sehr positiv zu bewerten – wer 24 Stunden ein kleines Menschlein umsorgt, sollte das eigene Wohlbefinden nicht vernachlässigen. Doch der Grad ist schmal zwischen dem begrüßenswerten Trend „Mütter kümmern sich um ihr Wohlgefühl“ und dem Trend „Mütter versuchen perfekt zu sein“. Im Hinblick auf Mamas Fitness versuchen Marketingstrategen natürlich, die Idee des After-Baby-Body zu verkaufen – mit Slogans wie „schnell schlank nach der Geburt“ schüren sie den Wunsch nach Perfektionund zerren die Frauen in ihre Falle. Das muss nicht sein! Statt dessen kann im Vordergrund stehen, die Frauen in Ihrem Bestreben zu unterstützen, etwas für sich zu tun: Es geht darum, Wohlfühl-Workouts für junge Mütter zu entwickeln und zu etablieren, die die Vitalität steigern und ohne Stress und ohne Leistungsdruck auskommen.
Betrachten wir in diesem Zusammenhang die aktuelle Marktsituation: In Deutschland sind derzeit verschiedenste Mütter-Trainingskonzepte auf dem Vormarsch, die das Baby auf unterschiedliche Weise einbeziehen – die einen trainieren mit dem Baby in der Tragehilfe (z.B. www.kangatraining.de), die anderen tragen das Kind auf dem Arm, wieder andere organisieren Outdoor-Workouts mit Buggy (z.B. www.laufmamalauf.de). Wie bei vielen guten und neuen Fitness-Ideen, stellt sich folgendes Problem dar: Das Thema erscheint in allen Medien, dadurch ist die Kundinnen-Nachfrage groß, die Auswahl an qualifizierten Kursleiterinnen jedoch klein. Erfahrungsgemäß wird in den nächsten Jahren eine natürliche Marktselektion von statten gehen: Trainerinnen und Hebammen werden sich ausbilden lassen, gute Kurskonzepte werden weiterempfohlen und etablieren sich, schlechte werden verschwinden. Zum aktuellen Zeitpunkt ist es jedoch noch so, dass viele Trainerinnen Kurse für junge Mütter leiten, ohne über die Sicherheitsregeln und Besonderheiten Bescheid zu wissen, die bezüglich der Frauen sowie bezüglich der Babys zu beachten sind. Auf den ersten Blick scheint es leicht zu sein, einen Fitnesskurs für Mama und Baby zu planen, tatsächlich ist jedoch einiges an Spezialwissen von Nöten.
Welche Nachteile oder Risiken bringt der Mama-Fitness-Trend mit sich?
Wird das Thema von den Medien oder beratenden Personen undifferenziert kommuniziert, besteht die Gefahr eines Körperkults, der nicht nur unrealistisch ist, sondern für eine junge Mutter auch psychisch wie physisch gefährlich werden kann. Darüber hinaus ist bedenkenswert, dass viele Mütter nicht mehr zum „langweiligen Rückbildungskurs“, sondern statt dessen zum „hippen Workout-mit-Baby-Kurs“ gehen, der allerdings ohne vorangegangene Rückbildung ein absolutes No-Go darstellt!. Für alle Beteiligten gilt deshalb die Maßgabe: Ein solcher Kurs findet erst nach Abschluss des Rückbildung statt, er soll Freude machen und körperlich wie seelisch wohltuend sein.
Wird das Training durch unqualifizierte Trainerinnen angeleitet, besteht Gefahr für die körperliche Gesundheit von Mutter und Kind. Oft werden die nach einer Entbindung gegebenen körperlichen Voraussetzungen wenig bis gar nicht berücksichtigt. Bei falscher Herangehensweise kann beispielsweise beim Training mit Baby in der Tragehilfe die Rumpfmuskulatur (vor allem der Beckenboden) überbeansprucht werden. Dadurch können Rückenbeschwerden entstehen oder die mühsam im Rückbildungskurs erarbeitete Beckenbodenstabilität wird zunichte gemacht. Auch die Babys können körperliche Schädigungen davon tragen, wenn ihre Physiologie nicht ausreichend berücksichtigt wird. Ein Beispiel hierfür ist Aerobic-ähnliches Herumhüpfen während das Kind in einer ungeeigneten Tragehilfe baumelt.
Welcher positive Nutzen entsteht durch den Mama-Fitness-Trend?
Trotz der beschriebenen Risiken handelt es sich hier um eine Idee mit viel positivem Potential. Vielen Frauen, die nach der Geburt bzw. nach der Rückbildungsphase wieder etwas für sich tun möchten, mangelt es an Zeit. Dazu kommen weitere Hindernisse, die die Frauen von sportlichem Training abhalten, wie zum Beispiel Hemmungen, das Baby in fremde Hände zu geben, schlechtes Gewissen, Zeit für sich in Anspruch zu nehmen, das Nichtwohlfühlen im postnatalen Körper, Unsicherheit auf welche Weise überhaupt trainiert werden darf.
Mama-Baby-Fitnesskurse sind hier eine ideale Lösung! Sie ermöglichen, ohne schlechtes Gewissen behutsam und unter professioneller Anleitung zu trainieren und gleichzeitig soziale Kontakte zu anderen Müttern zu knüpfen. Positiv ist außerdem, dass hier das Wohlbefinden der Frau im Vordergrund steht, schließlich sollte frau neben der 24-Stunden-Babybetreuung und diversen Babymassage- oder Pekip-Kursen sich selbst nicht vergessen.
Woran erkennt man ein gutes Kursangebot?
Auf den ersten Blick…
Um einen ungeeigneten Kurs zu entlarven, reicht meist schon der Blick auf den Flyer bzw. die Webseite oder ein Anruf bei der Anbieterin. Im Folgenden werden die wichtigsten Qualitätsstandardsaufgezeigt:
- Die Kursleiterin sollte nachweislich über eine spezifische Qualifikation und über persönliche Erfahrungen verfügen. Kann sie einen Qualifikationsnachweis aus dem Fachbereich „Postnatales Training“ nachweisen? Unterrichtet sie seit mindestens einem Jahr Kurse für Mütter? Hat sie im besten Fall eigene Kinder und somit selbst durchlebt, mit welchen körperlichen und emotionalen Schwierigkeiten junge Mütter zu kämpfen haben?
- Wird ein abgeschlossener Rückbildungskurs vorausgesetzt? Eine verantwortungsbewusste Anbieterin wird keine Frau ohne Rückbildung in die Trainingsgruppe aufnehmen. Die logische Konsequenz ist, dass die Geburt mindestens 16 Wochen zurück liegen muss.
- Die Anbieterin sollte im Vorfeld des Kurses schriftlich verschiedene Voraussetzungen die Gesundheit und den Fitnesszustand betreffend abfragen. Z.B., ob beim Hüpfen Urin abgeht, ob die Rectusdiastase geschlossen ist, ob das Baby reif geboren wurde etc..
- Eine maximale Gruppengröße sollte garantiert werden. Ab einer Gruppengröße von 10 Müttern mit Baby wird ein konzentrierter, wohltuender Trainingsablauf schwierig.
- Wird ein Training mit Tragehilfe angeboten, muss gewährleistet sein, dass alle Frauen mit einer ergonomischen Tragehilfe tragen und vor der ersten Stunde von einer Trageberaterin beraten werden. Wer mit einer unphysiologisch eingestellten Tragehilfe Fitnessübungen durchführt, gefährdet die eigene Gesundheit und die des Kindes.
- Wird ein Outdoor-Training angeboten, muss der Buggy bestimmte Kriterien erfüllen, die von der Kursleiterin zu überprüfen sind. Z.B. müssen ein gutes Federungssystem und spezielle Reifen verhindern, dass das Kind einer Stoßbelastung ausgesetzt ist, der Lenker muss so verstellbar sein, dass die Frau auch bei großer Schrittlänge den Rücken aufrecht halten kann etc..
- Eine Probe-Trainingsstunde sollte möglich sein, bevor man sich verbindlich anmeldet.
Auf den zweiten Blick…
Konnte die Anbieterin mittels Flyer, Internetauftritt oder Infogespräch überzeugen, kann die junge Mutter im Rahmen einer Probestunde herausfinden, ob das Kursangebot gesundheitsorientiert und zielgruppengerecht ist und ob sie Spaß daran findet.
Ob der organisatorische Ablauf zielgruppengerecht und liebevoll durchdacht ist, lässt sich schnell erkennen: Gibt es Spielzeug für die Kleinen? Besteht die Möglichkeit, sich zum Wickeln oder Füttern an einen bequemen Platz zurück zu ziehen? Wie wird bei einem Outdoor-Angebot die Wickel-, Fütter oder Wetter-Problematik gelöst?
Auch die Atmosphäre sollte auf Mutter und Kind abgestimmt sein. Die gängige Fitnessmusik ist beispielsweise viel zu bass-lastig und sollte durch rhythmische, aber dennoch leise, angenehme Musik ersetzt werden. Weiterhin muss ein entspannter Stundenablauf für alle Beteiligten gewährleitet sein: Ein immer gleicher Kursablauf wirkt nicht nur beruhigend auf die Kinder, sondern entbindet auch die Frauen von dem Stress, wöchentlich neue Übungen zu erlernen, wer ein paar Mal da war, kennt die Übungen und kann sich in Ruhe auf eine saubere Technikausführung konzentrieren.
Ganz besonders wichtig sind natürlich die fachspezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten der Kursleiterin, doch wie erkennt eine Mutter, dass sie fachlich fundiert beraten und adäquat trainiert wird?
Die Kursleiterin sollte die Prozesse und Veränderungen kennen, die der weibliche Körper während der Schwangerschaft und nach der Geburt durchgemacht hat und wissen, wie seine Rückbildungsprozesse ablaufen. Sie sollte die typischen Schwachstellen kennen und in der Lage sein, Übungen entsprechend zu modifizieren. Durch gezieltes Nachfragen entsteht ein Eindruck, ob man gut aufgehoben ist – Fragen, die eine Trainerin souverän beantworten können sollte, sind zum Beispiel:
- Kannst Du überprüfen, ob meine Rectusdiastase ausreichend verschlossen ist? Kannst Du mir Übungen nennen, die das Schließen behindern bzw. es fördern?
- Ich mache zuhause gelegentlich ein paar Fitnessübungen, aber ich bin nicht sicher, ob mein Beckenboden wieder seine frühere Stabilität hat, welche Übungen sind aufgrund dessen ungeeignet?
- Woran erkenne ich während des Training, dass eine Übung meinen Beckenboden überlastet und was soll ich dann tun?
Darüber hinaus erkennt man eine gute Trainerin daran, dass sie intensiv auf die CORE-Muskulatur[1] eingeht. Obwohl ein abgeschlossener Rückbildungskurs Teilnahmevoraussetzung ist, sind in der Regel weder das kinästhetische Empfinden, noch die intermuskuläre Koordination[2], noch die Kraftfähigkeit der CORE-Muskulatur schon gut ausgebildet. Deshalb muss die Trainerin – ähnlich wie im Rückbildungskurs – mit den Frauen erarbeiten, wie man die CORE-Muskulatur, speziell den Beckenboden, spürt und aktiviert. Natürlich muss diese Muskulatur dann im Stundenverlauf auch gezielt gekräftigt werden.
Die Kursleiterin sollte auf die verschiedenen Fitnesslevels der Teilnehmerinnen sowie die unterschiedlichen Gewichtsklassen und Temperamente der Babys einzugehen wissen. Für jede Übung kann sie nach Bedarf verschiedene Intensitätsstufen anbieten. Auch wenn ein Baby eine bestimmte Stellung oder einen Haltegriff nicht mag, hat die Trainerin Alternativen in Petto. Wird mit einem Buggy trainiert, überprüft die Trainerin vor Kursbeginn, ob dieser die notwendigen ergonomischen Kriterien erfüllt. Wird mit einer ergonomischen Tragehilfe trainiert, so muss die Trainerin zwar keine Trageberaterin sein, sie sollte jedoch grobe Tragefehler wie beispielsweise eine zu lockere Bindeweise erkennen und korrigieren können.
Fazit:
Einen perfekten After-Baby-Body anzustreben ist nicht nur unrealistisch, sondern sogar gefährlich. Statt dessen geht es darum adäquate Trainingsangebote zu etablieren, die den Müttern ein sicheres und vitalisierendes Workout ermöglichen. Denn wer rund um die Uhr für ein kleines Menschlein da ist, verdient erstklassiges Training mit höchstem Wohlfühlfaktor!
[1] Der aus dem Englischen abgeleitete Begriff CORE-Muskulatur meint alle Muskeln zwischen Zwerchfell und Becken (alle oberflächlichen wie tiefliegenden Rücken-, Bauch- und Hüftmuskulatur sowie die Beckenbodenmuskulatur).
[2] Intermuskuläre Koordination = koordinatives Zusammenspiel der einzelnen Muskeln miteinander